Ohne dich

Alleine sitze ich hier. Auf der Bank, die wir uns einst teilten. In diesem Café, das du liebtest. Vor mir auf diesem kleinen hölzernen Tisch steht ein Teller mit einem Blaubeermuffin. Ich sehe ihn an und muss lächeln. Vor gerade einmal einem Monat habe ich dich noch ausgelacht, weil du deine Muffins lieber mit Obst statt mit Schokolade bestellst. Jetzt bin ich in dieser Position. Die Kellnerin kommt und schenkt Kaffee aus ihrer Kanne in die Tasse aus Porzellan, die neben  meinem Teller steht. Ich murmle ein leises Danke und sie geht. Als ich ihr nachblicke, fällt mir auf, dass es dieselbe Frau ist, welche uns bei unserem letzten gemeinsamen Besuch hier bedient hat. Du erinnerst dich bestimmt. Sie hat schon graue Strähnen im langen schwarzen Haar und um ihre Augen sieht man deutlich Lachfalten, welche sich leicht erklären lassen: Sie lächelt immer. Als sie damals unsere Bestellung aufgenommen hat, es uns dann serviert hat oder uns die Rechnung gegeben hat. Nie haben sich ihre Mundwinkel auch nur ansatzweise nach unten bewegt. Nicht einmal als du dein Glas mit Eistee umgestoßen hast. Sie ist einfach mit einem Lappen zu uns gekommen und hat gesagt: „Mach dir nichts draus. Das passiert doch jedem einmal, Liebes.“ Doch heute ist es anders. Sobald sich ihr Blick in meine Richtung wendet, werden ihre Augen traurig und sie sieht mich mitleidig an. Sie weiß es also. Sie weiß, warum du nicht hier neben mir sitzt. Warum wir uns nicht in den Armen halten und lachen. Ich sehe sie an und lächle mit der Hoffnung, dass sie es mir gleichtut. Denn ich will nicht mit jedem Blick in ihre Richtung an meinen Schmerz erinnert werden. Doch leider erfüllt sich mein Wunsch nicht. Sie sieht mich noch mitleidiger an als zuvor. Ich wende mich also von ihr ab und stochere mit der Gabel in meinem Muffin herum, bis ich endlich ein Stück aufnehme, das dann aber wieder von meiner Gabel fällt. Stattdessen nehme ich einen Schluck Kaffee. Jetzt wäre der Moment, in welchem du über mich gelacht hättest. Denn nie hast du es verstanden, dass ich meinen Kaffee schwarz trinke. Wenn du nicht mindestens zwei Päckchen Zucker in deinen getan hast, konnte man sich sicher sein, dass es nicht du bist. Ich esse den Muffin, ohne dass mir ein Stück von der Gabel fällt, und ich bin mir sicher, wärst du hier, würdest du dagegen pusten, sodass erst wieder eines hinunterfallen würde. Bei diesem Gedanken lächle ich schon wieder. In diesem Moment wird mir eines bewusst. Meine Liebe für dich findet kein Ende.

Eine Träne rollt mir über die Wange, als ich den letzten Satz meines Briefes an dich immer und immer wieder lese. Ich will es einfach nicht wahrhaben, dass wir für immer getrennt sind. Trotzdem falte ich den Zettel und lege ihn zu den Blumen vor mir. Ich ziehe ein Feuerzeug aus meiner Jackentasche und zünde die Kerze in der kleinen Laterne an, die ich vor einer Woche hier abgestellt habe. Dann stehe ich auf und verlasse immer noch weinend den Friedhof.